Forget Me Not.

Entwurf für ein Denkmal im Wiener Resselpark für Männer und Frauen, die Opfer der Homosexuellen-Verfolgung in der
NS-Zeit wurden.

Das Paradies hinter der Einzäunung (persisch „pardez” für Paradies) ist eine einfache Blumenwiese. Die Einfriedung ist das schützende Symbol für das Paradies. Es entsteht ein „umhegter Garten“ (hortus conclusus), der nicht nur nützlich ist, sondern als ein Ort der Kontemplation in seiner Bedeutung überhöht wird, wie ein den Anblick erfreuender bunter Teppich, gewebt aus Blumen, Nutz- und Heilkräutern.
Bildmontage: Christian Fröhlich, Foto: Monika Trimmel; Titelbild: Forget Me Not, Rendering, HDC, 2022, enthält Elemente einer Illustration von Eva Schöffmann-Davidov. Font: Before The Rain, Måns Grebäck, 2011

An jenem Tag, als ich begann diesen Text zu verfassen, stieß ich auf folgende Meldung: Nach Coming-out: Mutter verprügelt Sohn. Ein 26-Jähriger hatte in Wien-Hietzing in einer Aussprache mit seiner Mutter von seiner Homosexualität erzählt und ist auf völliges Unverständnis gestoßen. Die Frau prügelte auf ihren Sohn ein. Ein Polizeieinsatz war die Folge, bei dem die wütende 47-Jährige einer Polizistin mehrere Kratzwunden im Gesicht zufügte. Die Polizei nahm die Frau in Gewahrsam und brachte sie wegen ihres Ausnahmezustandes in ein Krankenhaus.

Falls es noch einen Beleg benötigte, dass die Diskriminierung von Homosexuellen nicht auf die Zeit des NS-Regimes zu reduzieren ist — hier ist er. In 69 Staaten wird Homosexualität noch strafrechtlich verfolgt, in 11 Ländern droht sogar die Todesstrafe für Lesben und Schwule. Der vorliegende Entwurf ist auch unter diesem Aspekt zu lesen…

Christian Fröhlich
Wien, am 10. November 2021

KZ-Zaun Mauthausen, Lager I, Baracken 5, 10, 15, Segment, 1500 x 299 cm
“Das Paradies ist verriegelt;
wir müssen sehen, ob es vielleicht
von hinten irgendwo wieder offen ist.“
Heinrich von Kleist

Der Inbegriff des Riegels — im Kontext der Verfolgung in der NS-Zeit — ist der Zaun eines Konzentrationslagers. Wenn es ein Zeichen gibt, das gleichzeitig für systematische Unterdrückung, Diskriminierung und Freiheitsentzug steht, dann dieses Bauteil. „Ich habe immer nur den Zaun gesehen“ – diesen Satz hört man häufig, wenn man Zeitzeugen zum Thema befragt. “Ungefähr sechs Meter hinter dem Garten und den Blumen (…) veränderte sich alles. Ein riesiger Drahtzaun, am oberen Ende nach innen gebogen, erstreckte sich über die ganze Länge des Hauses und verlief dann in beiden Richtungen weiter, als sie sehen konnte. Der Zaun war sehr hoch, höher noch als das Haus, in dem sie standen, und er wurde von großen aufgereihten Pfosten gestützt, die aussahen wie Telegraphenmasten.” (aus: John Boyne: „Der Junge im gestreiften Pyjama“, S.48, Fischer-Verlag, 2009)

Zäune verwendet man zur Abgrenzung. Zum einen, um Unbefugten das Betreten zu verwehren, zum anderen, um jemanden am verlassen zu hindern. So trennt ein Zaun zwei Bereiche voneinander und es entsteht ein Drinnen und ein Draußen. Der Zaun als konstruktiver Archetyp für böse Architekturen ist (auch in jüngster Zeit) immer politisch motiviert — sei es an der amerikanisch-mexikanischen Grenze (“a big, beautiful wall“) oder im steirischen Spielfeld während der Flüchtlingskrise 2015 („Türl mit Seitenteilen“).

Für die Errichtung eines Denkmals für Männer und Frauen, die Opfer der Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit wurden, sieht der darliegende Entwurf vor ein Segment des KZ-Zaunes von Mauthausen in dessen Proportion und Materialität entlang der Grenze der ausgewiesenen Fläche im Resselpark nachzubilden und mittels einer Geste, sein Bedrohliches in etwas Friedfertiges aufzulösen.

Eine Einfriedung müsste das sein, die das Dahinterliegende vor der Außenwelt schützt und den inneren Frieden bewahrt, ihn gleichsam behütet. Gibt es einen Code, eine subtile Intervention, die das leisten kann..? „Wir brauchten etwas Schönes, etwas von uns“, sagte Gilbert Baker, Künstler und Drag Queen im San Francisco der 1970er Jahre, “weil wir bis dahin nur den Rosa Winkel von den Nazis hatten – es war das Symbol, das sie (für uns) verwendeten.Es kam von einem so schrecklichen Ort des Mordes und des Holocausts und von Hitler. Der Regenbogen ist so perfekt, weil er wirklich zu unserer Diversität in Bezug auf Rasse, Geschlecht, Alter und all diesen Dingen passt. Außerdem kommt er vom Himmel..! (…) Die Regenbogenflagge ist seit ihrer Entstehung im Jahr 1978 ein Symbol der LGBTIQ-Gemeinschaft auf der ganzen Welt. Auf ihr steht nicht das Wort “schwul”, aber jeder weiß visuell, was sie bedeutet.“

LGBTIQ-Zaun, Wiener Resselpark, Segment, 1500 x 299 cm
“Etwas Schönes, etwas von uns,
das direkt vom Himmel kommt...“
Gilbert Baker

Jede der sechs Stelen des Zaunsegmentes wird also in einer der sechs (LGBTIQ-)Regenbogenfarben eingefärbt. Das Paradies hinter der Einzäunung (persisch „pardez” für Paradies) ist eine einfache Blumenwiese. Die Einfriedung ist das schützende Symbol für das Paradies. Es entsteht ein „umhegter Garten“ (hortus conclusus), der nicht nur nützlich ist, sondern als ein Ort der Kontemplation in seiner Bedeutung überhöht wird, wie ein den Anblick erfreuender bunter Teppich, gewebt aus Blumen, Nutz- und Heilkräutern — Wald-Vergissmeinnicht (Myosotis sylvatica), Gewöhnliches Hasenglöckchen (Hyacinthoides non-scripta), Hohe Bart-Iris (Iris barbata-elatior), Gewöhnliche Kuhschelle (Pulsatilla vulgaris), …

Die damit suggerierte „garantierte Intimität“ des hortus conclusus ist eine Analogie an den Ort Resselpark, der in der NS-Zeit ein bekannter Treffpunkt homosexueller Männer war und an dem die Verfolgungsgeschichte zahlreicher Opfer ihren Ausgang nahm.

Für die Betreuung der Fläche sollen die Communities selbst verantwortlich sein (dürfen). Damit wird sichergestellt, dass die Initiator:innen, die für die Errichtung des Denkmales jahrelang gekämpft haben, auch für dessen Erscheinungsbild und Bespielung zuständig sind. Jeder kennt die Erzählungen aus Amsterdam von der Geste am Homomonument spontan Blumen niederzulegen oder davon, sich darüber zu erfreuen, dass dort frische Blumen liegen. Auf der Wiener Blumenwiese im Resselpark können jetzt alle dafür sorgen, dass die Pflanzen und der Ort gut gedeihen, dieser eine Identität erhält und mit Inhalten angereichert wird. Das Fehlen eines (weiteren) Programmes ist auch die Intension: zu erlauben, dass auch etwas entsteht, wenn nichts getan wird — außer sich Erinnern.

LGBTIQ Rainbow Color Code

Materialien / Funktionalität / Farbgebung / Witterungsbeständigkeit

Das Werk besteht aus zwei Elementen:
einer Bodenfläche als Blumenwiese mit Durchwegung, ca. 145 m2 (Das Paradies): Wald-Vergissmeinnicht (Myosotis sylvatica), Gewöhnliches Hasenglöckchen (Hyacinthoides non-scripta), Hohe Bart-Iris (Iris barbata-elatior), Gewöhnli- che Kuhschelle (Pulsatilla vulgaris), …
• und einer dreidimensionalen Einfriedung (Der Riegel) entlang der ausgewiesenen Fläche, ca. 15 m lang, in Form eines Zaunes aus sechs Stelen mit dazwischen befindlichem Metallgeflecht. Der Zaun wird getreu der historischen Referenz (15 x 299 cm) aus industriemäßig hergestellten Betonpfeilern mit innenliegender Stahlarmierung gefertigt. Jede Stütze wird in einer der sechs LGBTIQ-Rainbow Colors in aufsteigender dem Gelände folgender Richtung eingefärbt: Rot / Orange / Gelb / Grün / Blau / Violett.

Links und rechts des Zaunsegmentes wird die Grünfläche durch ein gekrümmtes Stahlband als Beeteinfassung und zusätzlich am Beginn durch einen Anwuchsschutz gesichert. Der Zaun dient als Einfriedung, kann aber hintergangen werden, konterkariert also die klassische Funktion einer Absperrung. „Das Paradies ist verriegelt, wir müssen sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist.“

Die Durchwegung schließt an die “Turtlenecks” an und nützt die vorhandenen Trampelpfade, um auf der oberen Grünfläche einen “Loop” zu erzeugen, der (auch) wieder zurück hinter den Zaun führt. Der neue Pfad in der Bodenfläche wird als leichter Wegeunterbau, mit einer Mischung aus Schotter, Humus und Lehm aufgebracht, damit keine Erde vertragen wird.

Johann Georg Sturm, Deutschlands Flora in Abbildungen, 1796

Projektmaximen

Inhaltliche Ausrichtung
Das Denkmal ist ein Aufenthaltsort, lädt zum Innehalten beim Sicherinnern ein und hat das Potenzial zu einem lebendigen Treffpunkt im öffentlichen Raum zu werden.

Künstlerisches Konzept
Das Denkmal und sein Konzept um die Akte des Erinnerns regt auf intellektueller Ebene an, berührt aber auch kontemplativ durch seinen „umhegten Garten“.

Landschaft und Stadtraum
Das Denkmal nützt landschaftlich seine räumliche Positionierung an einer „Störung“ (Ausbuchtung, welche die perfekte Ellipsenform stört), um durch eine neue „grüne Insel“ die Geometrie der Anderssonschen Ellipse wieder herzustellen.

Technische Umsetzung
Das Denkmal ist technisch einfach, ressourcenschonend, kostengünstig herzustellen und zu erhalten. Es ist robust gegen Vandalismus und setzt auf die vermittelnde Wirkung eines den Anblick erfreuenden bunten Teppichs, gewebt aus Blumen, Nutz- und Heilkräutern.